Paradox?!

Die Branche der Kulturschaffenden hat es aktuell sehr schwer. Egal ob Musiker, bildender Künstler, Schauspieler, Redner oder Kreativschaffender in jeglicher Form: Alle wurden hart vom Lockdown getroffen und klagen über fehlende Einnahmen durch ausgefallene Veranstaltungen. Das Internet mit seinen vielen (mehr oder weniger) sozial-medialen Plattformen bietet zwar schier unbegrenzte Möglichkeiten zur Entfaltung, ist jedoch in den seltensten Fällen wirtschaftlich lukrativ. Der erhoffte Mehrwert durch Likes – eine Währung, die ich bis heute nie wirklich verstanden habe – bleibt in der Regel aus.

 

Mindestens genauso schlimm wie die finanzielle Situation ist jedoch die plötzliche Sinnentleerung der eigenen Existenz. Das mag für manche übertrieben formuliert klingen, für eine künstlerische Seele ist es aber die nackte Realität, mit welcher sie sich seit Corona konfrontiert sieht. Seine Leidenschaft, seine Professionen, seinen Lebensinhalt nicht mehr ausführen zu können, ja ausführen zu dürfen, ist ein Zustand, der für die wenigsten Menschen in seiner gesamten Bedeutung nachvollziehbar ist. In jedem künstlerischen Schaffen steckt so unendlich viel Zeit, Arbeit, Energie, Disziplin, Talent, Freude, Leid, Aufopferung und Hoffnung, dass eine Bewertung dieser eigentlich unmöglich ist. Was kostet ein Pinselstrich? Wie viel ist eine Note wert? Wie vergütet man einen einzelnen Satz, der grammatikalisch zwar nur aus ein paar Wörtern bestehen mag und innerhalb weniger Sekunden beendet ist, in welchem jedoch Erfahrung und Weisheit aus jahrzehntelanger Beschäftigung enthalten ist? Dies festzulegen ist, materiell betrachtet, völlig unmöglich.

 

Neben meiner Tätigkeit als Musiker ist der Journalismus immer ein ordentliches zweites Standbein gewesen. Bereits frühzeitig habe ich mich beim Schreiben auf mein Fachgebiet spezialisiert und in diversen Fachmagazinen veröffentlicht. Über viele Jahre ging das gut, wenn auch das zunehmende Verschwinden von Printmedien die Aufträge rar gemacht haben. Die Krise aber hat auch diese Branche stark getroffen, viele Musikalienhersteller haben aufgrund einbrechender Absatzzahlen das Budget für Werbeanzeigen zusammengestrichen und damit den Zeitschriften ihre Lebensgrundlage genommen. Natürlich bekomme ich regelmäßig Anfragen von Onlineportalen, jedoch war nie eines dabei, welches zu einer einigermaßen akzeptablen Vergütung bereit war. Neben der Arbeit am Text soll auch die komplette Bildrecherche übernommen werden (was für den Fachbereich Musik eher unüblich ist) sowie die Präsentation online in einem bestimmten Format, wie z.B. WordPress. Selbst nach intensiver Einarbeitung und viel Übung lag der erwirtschafte Betrag, in Relation zum gesamten Zeitaufwand, immer deutlich unter dem Mindestlohn. Da dies jedoch als freiberufliche Tätigkeit abgerechnet wird, ist es rechtlich nicht anfechtbar.

 

Doch wie ist aber das Leben unter Corona nun wirklich? Paradox! Wie viele meiner Kollegen habe ich mir oft gewünscht, mehr Zeit für mich und meine künstlerischen Ideen zu haben. Alle sind wir irgendwie gefangen im Berufsalltag, müssen Auftragsarbeiten für Andere erledigen, die im Gegenzug wiederum unsere Rechnungen bezahlen. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, es kann auch eine Menge Spaß machen, stellt aber nur die eine Seite der Medaille dar. Genauso wichtig ist es selbst kreativ tätig zu sein und seine Visionen umzusetzen. Leider gelingt das in der wenigstens Fällen, entweder ist keine Zeit vorhanden, weil Auftragsarbeiten anstehen oder man hat zwar Freiraum, jedoch kein Geld und damit ganz andere Probleme. Nur einem sehr kleinen Prozentsatz aller Künstler ist es vergönnt, aus seiner Berufung einen einträglichen Beruf gemacht zu haben der sowohl den eigenen Anspruch als auch den Geschmack der Allgemeinheit befriedigt.

 

Dank Corona bin ich zwar bankrott, habe aber sehr viel Zeit mich mit allerlei Dingen zu beschäftigen. So studiere ich z.B. die Basslinien des großartigen Donald Duck Dunn (den meisten durch den Film „Blues Brothers“ bekannt), tauche in seine Art den Soul zu spielen tiefer und tiefer ein, obwohl dies nicht in einem direkten Zusammenhang mit meinem eigenen musikalischen Wirken steht. Auch arbeite ich an einem Lehrwerk über ein spezielles Thema am Kontrabass und finde sogar in besonderen Momenten die Inspiration, an meinem Roman weiter zu schreiben. Ohne die Krise wäre das nicht möglich gewesen, es hätte zu viel Arbeit angestanden. Wird mich das finanziell in der Zeit danach weiterbringen? Unwahrscheinlich, doch für die Seele ist jede noch so kurze Mußestunde in diesen dunklen Tagen unbezahlbar.