Corona & Respekt

Was ist das nur für eine unglaubliche Zeit in der wir leben? Auf der einen Seite werden Konzerte und Veranstaltungen verboten um einen Mindestabstand einzuhalten der Leben rettet, auf der anderen Seite gibt es gebilligte Massenproteste gegen Rassismus überall auf der Welt...

 

*schmunzelaugenzwinker*

 

Whaaaaaaaaaat the f...???

Hat er das gerade wirklich geschrieben???

Verharmlost er etwa Rassismus???

 

Nein, natürlich tue ich das nicht! Was gerade in der USA und bei uns passiert genießt die höchste Priorität, Rassismus darf keinen Platz haben, nirgendwo auf der Welt. Es zählt immer der Mensch, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft! Und jeder, der das anders sieht, sollte diesen Planeten ganz schnell verlassen. Punkt.

 

Wer jetzt aber gerade das Gefühl hatte, dass hier eine existenzielle Situation verharmlost wurde, den bitte ich kurz innezuhalten. Wie fühlt sich das an? Ist kacke, oder? Man wird wütend über solch Verständnislosigkeit, richtig? Und traurig, das es wirklich Menschengibt, die so denken können, nicht wahr?

 

Nun dann...Herzlich willkommen in meiner Realität!

 

Deutschland im Juni 2020. Nach ca. 2 Monaten angeordneten Lockdown scheint sich das Leben wieder zu normalisieren. Ja, wir müssen noch Masken tragen, einen Sicherheitsabstand einhalten, öfter Hände desinfizieren, aber in vielen Bereich ist doch wieder ein Alltag eingekehrt. Wer tagsüber mal bei gutem Wetter in die Stadt geht, erlebt die gleichen, vor-coronalen Menschenmassen auf den Straßen. Einen Abstand sieht man nur selten bis gar nicht, bis auf die fehlenden Gesichter und den Warnhinweisen an den Geschäften ist nicht mehr viel von Covid-19 zuerkennen. Entsprechend kann man auch einen Stimmungswechsel erkennen ,es wird gelacht und geschwatzt, die ersten Urlaube für den Sommergeplant und Witze über die Quarantäne gemacht, frei nach dem Motto:

 

Erinnerst du dich noch wie bescheuert wir alle ohne Frisör aussahen?

Und was mache ich jetzt mit dem ganzen Klopapier?

 

In meiner Branche hat sich jedoch nichts geändert. Die wenigen Lockerungen und Auftrittsmöglichkeiten helfen vielleicht Lokalmusikern und Alleinunterhaltern, einem national und international arbeitenden Profi bringen sie nichts. Bis Ende August sind nach wie vor keine Veranstaltungen meiner Größenordnung erlaubt und für den September und Oktober haben etliche Veranstalter aus Unsicherheit bereits abgesagt – lieber jetzt günstig aus dem Vertrag raus als später, wenn vielleicht eine Entschädigung fällig sein könnte. Und neue Konzerte dieser Größenordnung zu planen braucht Vorlauf, das geht nicht von heut' auf morgen. Ich bin also immer noch arbeitslos. Stand jetzt bis Ende Oktober. Zu all dem Unglück ist nun eine zusätzliche Dimension hinzugekommen. Ich erlebe, wie sich mein Umfeld spaltet in Menschen, die von Corona finanziell betroffen sind und die, auf welche es keine Auswirkungen hatte. Lauteiner Umfrage der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers geben ein Drittel aller deutschen Haushalte an, durch den Lockdown Einkommenseinbußen zu haben. Das klingt erst einmal nach viel, jeder dritte Bürger hat durch die Krise (mehr oder weniger) Geld verloren. Betrachten wir nun aber mal die andere Seite, stellen wir ebenso fest, das weit über die Hälfte aller in Deutschland lebenden Menschen keine Probleme dieser Art haben!

 

Schaue ich nun auf meine persönlichen Kontakte, welche man als Querschnitt der Gesellschaft bezeichnen könnte, sehe ich diese Zahlen bestätigt. Die wenigsten höre ich übers Geld klagen. Es geht meistens nur darum, dass man seine Freunde nicht mehr sehen konnte, das Steak zu Hause nicht so gut gelungen ist wie im Restaurant oder das die Maske stört. Ich höre sogar, dass die Coronakrise für einen großen Teilpositiv war. So sind viele glücklich über das neue Homeoffice, freuen sich, dass die Umwelt weniger belastet ist und erleben den Konsumverzicht als zufriedenstellendes Lebensmodell. Ein Musikerkollege, welcher als verbeamteter Lehrer in einer Schule arbeitet, sagte zu mir wortwörtlich:

 

„Ich darf das offiziell ja nicht sagen, aber Corona ist das Beste, was mir je passieren konnte. Ich habe bei vollem Gehalt Urlaub und Zeit für meine Kinder. Mit dem Onlineunterricht erreiche ich endlich die Schüler, die sich wirklich für mein Fach interessieren, die anderen wählen sich sowieso nicht in die Skypelessons ein. Mir geht es so gut wie nie, von mir aus könnte es immer so bleiben!“

 

Ein anderer, kurz vor der Rente stehender Bekannter schwärmt davon, wie richtig die Quarantäne war, das endlich kein Fluglärm mehr zu hören ist und wie er mit der Gartenarbeit ein ganz neue Hobby für sich entdeckt hat. Während er mir das erzählt, sitzen wir in seiner Privatsaunaund schauen auf ein Lagerfeuer im Garten des großen, schon langeabbezahlten Hauses. Seine Frau sitzt daneben und philosophiert darüber wie schön die Welt doch sein könnte, wenn unsere Gesellschaft endlich lernt sich vom Luxus zu lösen. Dabei nippt sie an einem Wein, der knapp so viel kostet wie ich mit einer Unterrichtsstunde verdiene – brutto versteht sich!

 

In solchen Momenten sitze ich schweigend daneben und frage mich, wie wenig Empathie ein Mensch mit sich bringen kann? Während ich 80% meines Einkommensunverschuldet verloren habe, muss ich mir anhören, wie andere die Situation feiern. Welche Wut, ja welchen Schmerz ich dabei empfinde, vermag ich kaum in Worte zu fassen. Dabei bin ich frei von Neid, jeder arbeitet hart für sein Geld und ich gönne allen dieses aufi hre Art zu genießen. Aber würden diese Menschen auch einem Rollstuhlfahrer erzählen, wie schön es ist querfeldein durch den Wald zu laufen um unberührte Plätze zu entdecken? Mit einem Obdachlosen über die neue Inneneinrichtung ihres Hauses zuquatschen? Oder sich beim hungernden Kind in Afrika beschweren, dass es die ganze Woche nur (aus den Corona-Hamster-Käufen übriggebliebene) Nudeln gab?

 

Nein, mit Sicherheit nicht! Anstand und Respekt würden jeden halbwegs vernünftigen Menschen davon abhalten, Betroffene mit solchen Aussagen zu konfrontieren. Nun möchte ich mein Schicksal sicherlich nicht mit dem eines Rollstuhlfahrers, Obdachlosen oder hungerndem Kind vergleichen, natürlich geht es denen um ein unbeschreiblich vielfaches schlechter. Ich möchte aber das Prinzip dahinter verdeutlichen mit der Frage, warum bei uns Musikern eigentlich alles erlaubt ist?

 

Meine persönliche Vermutung dazu: Für die meisten Menschen gilt unsere Situation immer noch als selbst verschuldet. Selbst verschuldet in sofern, dass uns ja niemand gezwungen hat, so etwas „unsicheres“ wie Musiker zu werden. Bei den oben genannten Beispielen ist das anders, diese Menschen können nichts für ihre Situation. Wer sucht sich schon aus wo er geboren wird? Der Künstler hätte aber etwas anderes machen können, etwas vernünftiges, etwas solides. Dies bekomme ich aktuell auch überall geraten: Sattel doch um, geh einfach Arbeiten, such dir was mit festem Einkommen.

 

Dieser blanke Hohn, mit dem mir solche Menschen begegnen, ist einfach nur demütigend. Daher muss ich es hier, stellvertretend für alle Musiker, noch einmal in aller Deutlichkeit formulieren:

 

Ich bin nicht Schuld an der Situation! Ich habe keine Fehler gemacht!!!Ich besaß ein prall gefülltes Auftragsbuch für dieses Jahr, mit welchem ich ein sehr gutes Einkommen erzielt hätte. Mir wurde aber fremdbestimmt alles genommen. Ich habe mich nicht durch schlechte Leistungen in Verruf gebracht und wurde deswegen nicht mehr gebucht, ich habe nicht mit der Frau vom Chef geschlafen und wurde gefeuert. Nein, ich habe von der Regierung ein Berufsverbot ohne Entschädigung auferlegt bekommen und bin deswegen pleite, bankrott, am Existenzminimum, auf Harzt 4 Niveau. Und nein, ich erwarte kein Mitleid denn natürlich habe ich mir meinen Job selbst ausgesucht, niemand hat mich dazu gezwungen. Was ich aber erwarte ist:

 

Verständnis,Anstand und Respekt!