Künstler, Staat & Krise

Mit einer großen Traurigkeit lese ich die vielen Beiträge meiner Kollegen über die existenziellen Auswirkungen der von der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen. Viele – auch mich – hat es sehr hart getroffen und wissen nicht mehr weiter. Ich kann alle Klagen, Anschuldigungen und selbstausbeuterischen Taten aus Verzweiflung nachvollziehen und empfinde ein großes Mitgefühl für jeden Einzelnen, der auf die Einnahmen aus seiner künstlerischen Tätigkeit angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Was mich jedoch ebenso erschreckt ist der Eindruck, dass für die meisten die aktuelle Situation scheinbar solch eine Überraschung ist? Damit meine ich nicht irgendwelche Pandemie-Prognosen vor Jahren sondern die Art und Weise, wie Staat und Gesellschaft unsere Situation behandelt. Habt ihr denn wirklich geglaubt, dass wir Künstler eine Entschädigung bekommen für das Berufsverbot? Oder sich jemand ernsthaft darüber Gedanken macht, ob und wie wir überleben? Wir leben im Kapitalismus, es geht um Wirtschaft, Wachstum und Konsum. Die damit verbundenen Gesetze werden doch nicht in Zeiten einer Rezession ausgesetzt, erst recht nicht für die Kultur! Oder habt ihr etwa das Gefühl in diesem Land finanzielle Anerkennung für das Schaffen und Wirken als Bildungsträger zu erfahren?

 

Viele Musiker leben in einer selbst gebauten Blase. Auf Facebook und Instagram sind sie überwiegend vernetzt mit Kollegen und Fans, sehen den ganzen Tag nur künstlerische Inhalte und bekommen so den Eindruck, das Leben würde sich nur um Kultur drehen. Wer jedoch in die Welt nach draußen schaut, wird das Gegenteil feststellen: Orchester werden abgebaut weil sie zu teuer sind, Clubs werden geschlossen da sie die Unterhaltskosten nicht mehr bezahlen können, Musikschulen schreiben seit Jahren rückläufige Zahlen bei den Neuanmeldungen und die Veranstaltungsbranche ist sich selbst überlassen, was zu Wettbewerb und Preiskampf führt – ganz so wie es von einem sich selbst regulierenden Markt auch erwartet wird. Nun soll das alles plötzlich anders sein? Nur aufgrund einer Pandemie ändert sich das gesamte Verständnis über Kultur? Die meisten Branchen verlieren Geld, Firmen gehen insolvent aber der Künstler wird davon ausgenommen und geschützt?

 

Wir leben seit dem Kaiserreich in einer Industrie- und Wirschaftskultur und nicht mehr im Land der Dichter und Denker. Selbst davor war es nicht viel besser, wissen wir doch aus der Geschichte wie abhängig die Künstler immer von einzelnen Gönnern und Mäzenen waren? Warum ist ein Goethe nach Weimar gezogen? Warum ein Hayden nach Esterhazy? Und warum sind Mozart und Schubert arm gestorben? Natürlich ist das jetzt stark verallgemeinert, aber wenn wir uns einmal aus der Blase befreien, um einen Überblick zu gewinnen, fällt doch ziemlich eindeutig auf: Bis auf ein paar geographisch und zeitlich begrenzte Biotope hat sich die allgemeine Masse noch nie besonders für das Wohl der Kulturschaffenden interessiert.

 

Woher kommen denn Sprüche wie:

"Das kann man studieren?“

„Können Sie davon leben?“

 

Nicht zu vergessen der selten ausgesprochene aber oft gedachte Klassiker:

"Es hat Sie ja niemand gezwungen Musiker zu werden. Hätten sie mal lieber was Gescheites gelernt."

 

Was unsere Zunft gerade erlebt ist eine globale ‚ent-täuschung‘ im besten Sinne des Wortes. Die Gesellschaft und der Staat enthüllen ihre Maske und zeigen uns die kalte Fratze eines – mehr oder weniger – liberalen und kapitalistischen System, in welcher es jedem (soziale Voraussetzungen und Habitus mal ausgenommen) frei steht seinen Weg zu gehen. Menschen gründen ein Unternehmen immer auf eigenes Risiko und der Künstler ist eben auch eine kleine 1-Mann/Frau-Firma. Nun wurden die Rahmenbedingungen für das Geschäftsmodell geändert und wir gehen bankrott, dafür entstehen wiederum neue Arten, mit denen man Geld verdienen kann, Kapitalismus wie er eben gedacht ist. Niemand zwingt uns weiterhin als Musiker tätig zu sein! So könne wir zum Beispiel auch im Supermarkt Einkaufswagen desinfizieren gehen, dafür werden aktuell händeringend Leute gesucht. Und wer das nicht will nimmt sein Recht auf Grundsicherung in Anspruch: Hartz 4!